Anfang März 2013 huschte vergleichsweise auffälliges Gefährt für einen Tag über die Sanddünen und -pisten von Horstwalde. Geländefahrzeuge mit Überrollbügeln sind für eine Versuchsanlage, die viele Werkserprobungen im Jahr sieht, nichts Ungewöhnliches. Jedoch diverse Werbebotschaften an den Fahrzeugen, ausschließlich Frauen im Cockpit, Angaben zur Blutgruppe an den Türen sowie ein Filmteam machten neugierig. Herr Thomas Konzelmann von der Daimler AG, zuständig für die technische Produkt- und Medienbetreuung von Vans in Stuttgart war so freundlich und stand für ein Telefoninterview bereit.
Herr Konzelmann,
eine Beschriftung am Fahrzeug verriet die Mission: Rallye Aïcha des Gazelles.
Was können Sie dazu sagen?
Die "Rallye Aïcha des Gazelles
du Maroc" führt über etwa 2500 km. Gestartet wird seit 1990 zwar
in Paris, die Wertungsläufe finden jedoch in der marokkanischen Wüste
statt. Bereits zum fünften Mal nimmt Daimler an der Rallye teil, bei der
ausschließlich Frauen am Steuer sitzen oder die Navigation führen.
Bei der Rallye Aïcha des Gazelles kommt es darauf an, eine fahrbare Piste
zwischen zwei Checkpoints auf dem möglichst kürzesten Weg zu finden.
Zugelassene Hilfsmittel sind Karte, Kompass und Zeichengerät, verboten sind
GPS-Navigation und Ferngläser. Die benötigte Zeit zwischen zwei Checkpoints
ist zweitrangig. Daher ist es auch nicht ungewöhnlich, dass sich die Frauen
bei technischen Problemen untereinander helfen bis das Fahrzeug der Konkurrentinnen
wieder flott gemacht ist. Die dritte Besonderheit liegt im humanitären Aspekt
der Rallye. Statt Preisgelder zu vergeben, fließen sämtliche Einnahmen
in die Finanzierung der medizinischen Versorgung der Wüstenbevölkerung
in Marokko, den Bau von Schulen und sozialen Einrichtungen. Marokko ist also nicht
nur Kulisse für die einzige Frauen-Rallye der Welt, sondern als Gastgeber
auch nachhaltig am wirtschaftlichen Erfolg beteiligt.
Team mit Startnummer 137: Am Steuer Lina van de Mars, TV Gast als Rennfahrerin und "Schrauberin"; links: Julia Salamon, Marketing MB Vans und erfahrene Navigatorin der Rallye Aïcha des Gazelles 2012 Fotos: K. Urban |
Weshalb steht die Daimler
AG zum fünften Mal mit vier Fahrzeugen im Starterfeld?
Der wichtigste
Aspekt ist der humanitäre Hintergrund. Abgesehen von den nachhaltigen Investitionen
in soziale Projekte, versorgt der medizinische Dienst der Rallye mit seinem rollenden
Spital und ambulanten Arztpraxen die Nomaden der marokkanischen Wüste. Von
Brillenanpassungen bis hin zu Operationen steht modernste Medizin auf Rädern
zur Verfügung. Der zweite Aspekt ist die Unterstützung der Diversity-Aktion
der Daimler-Konzernleitung, soll heißen "Vielfalt - mehr Frauen in
Führungspositionen". Deshalb gibt es auch jedes Jahr im Januar unternehmensweit
eine Ausschreibung auf Teilnahme an dieser berühmten Frauen-Rallye. Aus etwa
100 Daimler-Mitarbeiterinnen qualifizieren sich zwei. Den Vorausscheid fahren
wir u.a. off-road auf einem Truppenübungsplatz in der Schwäbischen Alp.
Steilvorlage für
den Interviewer: Warum dann über 800 km quer durch Deutschland um auf die
Verkehrs-Versuchsanlage in Horstwalde zu kommen?
Nur in Horstwalde haben
wir Lockersanddünen und -pisten, die zum Fahrtraining mit Simulation von
Wüstenbedingungen taugen. Ein gutes Gesamtergebnis der Daimler-Teams braucht
gute Fahrpraxis. Außerdem haben wir als Arbeitgeber und Sponsor die Verantwortung
für einen sicheren Ablauf. Aus diesem Grund mischen wir die Teams auch so,
dass die Juniorteams von den Rallye-erfahrenen Seniorteams lernen können.
Pikant ist nämlich auch die ausschließliche Verwendung von Französisch
als Wettkampfsprache, was in unserer englisch dominierten Welt ebenfalls eine
echte Herausforderung ist. Auch wenn das Team van de Mars/Salamon in Horstwalde
etwas mehr mediale Aufmerksamkeit bekam, in der Ausbildung durch die erfahrene
Rallye-Pilotin und Juniorchefin der Offroad-Schmiede ORC Frau Baur wurden alle
acht Teilnehmerinnen gleich gut trainiert.
Paris
am 16. März 2013: Die
Teamaufstellung (Fahrer/Navigator) und Sponsoren: weitere Team-Info siehe: www.rallyeaichadesgazelles.com/en/Rally/2013/the-teams/ Foto: Archiv T. Konzelmann |
Davon,
dass Daimler-Frauen von Autos etwas verstehen und nach speziellem Fahrtraining
Siegerqualitäten haben, bin ich überzeugt. Mit welcher Technik soll
denn am 30. März 2013 das Siegertreppchen erobert werden?
Die
Rallye ist untergliedert in drei Gruppen: Quads und Motorräder, Geländefahrzeuge
und Trucks sowie Sport Utility Vehicle (SUV) und Cross-Over-Fahrzeuge. Die zwei
Vito und der Sprinter-Kastenwagen - übrigens gefahren von einer Auswahl der
Deutschen Handwerker Zeitschrift - sind Serienfahrzeuge mit Radformel 4x4 und
entsprechen der SUV/Cross-Over-Klasse. Lediglich aus dem Sprinter vom Team van
de Mars/Salamon haben wir ein 4x4-Geländefahrzeug gemacht. Der Radstand wurde
im Vergleich zur Serie um 960 mm gekürzt, der Tank kam aus der "Bauchlage"
auf die Pritsche hinter das Fahrerhaus und die Antriebe wurden mit echten mechanischen
Sperren ausgerüstet. Damit sollten die tückischen Dünenkämme
auch gut befahrbar sein. Es versteht sich von selbst, dass alle Fahrzeuge entsprechend
dem Regelwerk Überrollbügel, Rallye-Sitze und entsprechende Reifen bekommen
haben.
Dank Mittagspause einmal nicht in Bewegung: 4x4-Rallye-Sprinter vom Team van de Mars/Salamon mit 3.0 Liter 6-Zylinder-Serienmotor (190 PS / 440 Nm), jedoch zur besseren Dünentauglichkeit mit einem um 960 mm verkürztem Radstand, mehr Bauchfreiheit und mechanischen 4x4-Sperren. Foto: K. Urban | Die 2 km lange Lockersandstrecke von Horstwalde war zwar noch nicht bis in die Tiefe aufgetaut, jedoch für typisches Fahrverhalten im Sand bei hoher Geschwindigkeit hat´s allemal gereicht. Ein Stuttgarter TV-Team drehte Szenen für die Gesamtdokumentation. Foto: K. Urban |
Horstwalde
ist nicht weit vom Daimler-Werk in Ludwigsfelde entfernt. Wie viel "Ludwigsfelde"
nimmt denn der spezielle 4x4-Rallye-Sprinter mit nach Marokko?
Viel,
bis auf die wenigen Extras! Ludwigsfelde ist der einzige Produktionsort für
den Sprinter mit Pritsche. Wir haben diese natürlich auch um 960 mm gekürzt
und zur Vermeidung von bremsenden Luftwirbeln mit einer schräg abfallenden
Plane abgedeckt. Motor, Fahrwerk, Führerhaus und Pritsche sind in Ludwigsfelde
montiert worden. Der Sprinter-Kastenwagen kommt aus Düsseldorf und die beiden
Vito aus unserem Werk in Spanien.
Herr
Konzelmann, ich danke für das abendliche Telefonat und wünsche Ihrer
Frauen-Mannschaft und dem Serviceteam unfallfreie Fahrt, sportlichen Erfolg und
glückliche Heimkehr.
Das Interview führte Dr. Klaus Urban, Mitglied Vorstand Förderverein Verkehrs-Versuchsanlage Horstwalde e. V. (FKVV).